Donnerstag, 22. September 2011

Ritalin - Was ist das und hilft das unseren Kindern wirklich?


Hier stelle ich Ihnen eine Zusammenfassung aus sowohl öffentlich zugänglichen Diskussionen und Vorträgen als auch aus Fachliteratur vor. Es handelt sich um die vereinfachte Wirkungsweise des dopaminergen Systems, das bei verhaltensauffälligen Kindern Veränderungen aufweisen soll. Freundlicherweise gestatten Professor Hüther und Professor Spitzer sowie Ärzte und Therapeuten der Vereinigung ADHS-Schweiz mir im Dienste der Aufklärungsarbeit, ihre Ergebnisse und Stellungnahmen zu veröffentlichen. Vielen Dank an dieser Stelle!

Prof. Hüther bezeichnet den Begriff ADS als ein Störungsbild, das während der Kindheit entsteht und durch drei Leitsymptome gekennzeichnet ist:
  • Hyperaktivität,
  • Aufmerksamkeitsdefizit und
  • mangelnde Impulskontrolle.
Neben dem
  • ADS (AufmerksamkeitsDefizitSyndrom) werden auch Begriffe wie
  • HKS (Hyperkinetisches Syndrom) und
  • ADHS (Attention Deficit Hyperactivity Disorder) verwendet.


    Kritiker der medikamentösen Therapie stellen vehement zur Diskussion, dass die auffälligen Kinder als Symptomträger einer kranken Gesellschaft betrachtet werden könnten. Die Krankheit der Gesellschaft sollte erkannt werden und nicht die Kinder mit chemischer Unterstützung an diese angepasst, damit ein nur noch marode funktionierendes System weiterhin funktionieren kann ...
    Sicherheit und Geborgenheit in der Familie, dem Schulsystem und dem Staat können sicher einige Verhaltensauffälligkeiten im Vorfeld vermeiden.

Zur Diagnostik
ADHS kann bisher nicht gesichert neurobiologisch nachgewiesen werden. Man weiss nur, welche Botenstoffe eine Rolle spielen und dass eine genetische Disposition in 50 verschiedenen Genen, die alle mit dem Neurotransmitterstoffwechsel zusammenhängen, belegt werden konnte. Das gibt natürlich ein buntes Bild ... Weitere Einflüsse bilden Rauchen während der Schwangerschaft, ein niedriges Geburtsgewicht sowie mangelnde Zuwendung und Sicherheit für das Kind. Diese Faktoren KÖNNEN die Entwicklung des Gehirns stören. Die Diagnose erfolgt hierbei klinisch, das heisst, aufgrund Beobachtung des Kindes, einer genauen Betrachtung der psychosozialen Umstände und des geschilderten "Krankheits"-verlaufs. Sie wird nach dem ICD-10 gestellt. Tritt in einem speziellen Fragebogen eine bestimmte Anzahl von zutreffenden Antworten auf, dann liegt die Diagnose der "Erkrankung" nahe.
Im Blut oder in anderen messtechnischen Verfahren ist eine Sicherung der Diagnose bisher nicht möglich.

Daher ist es wohl von grösster Wichtigkeit bei der Arztwahl, genau darauf zu achten, wie viel Zeit er sich nimmt und wie individuell er auf die Verhaltensauffälligkeiten des ihm vorgestellten Kindes eingeht. Leider wird auch beobachtet, dass schon auf Bitten der Eltern der Rezeptblock gezückt und ein Medikament verordnet wird - was dann auch in den meisten Fällen Wirkung zeigt. Doch dazu an anderer Stelle mehr.

Ebenso wie eine Schlaftablette gegen Schlafstörungen und eine Schmerztablette gegen Schmerzen wirkt, ohne dass sie die Ursache der Schlaflosigkeit oder der Schmerzen berücksichtigt, wirkt auch Methylphenidat (Ritalin etc.) bei fast allen Kindern, auch wenn sie klinisch gesund sind!

Der Umkehrschluss also, dass wenn Ritalin hilft, ADS vorliegen muss, ist falsch!

Prof. Gerald Hüther schreibt hierzu:
"Wenn das, was wir bisher zusammengetragen haben stimmt und das dopaminerge System bei ADHS-Kindern nicht, wie bisher vermutet, unzureichend, sondern womöglich sogar übermässig stark entwickelt ist - und deshalb im Gehirn dieser Kinder nicht zu wenig, sondern zu viel Dopamin ausgeschüttet wird -, so wäre die Dopamin-Mangel-Hypothese damit eigentlich auf den Kopf gestellt. Ein Dopamindefizit im Gehirn dieser Kinder war ja ursprünglich nur deshalb vermutet worden, weil die Verabreichung von Ritalin und anderer zur Behandlung von ADHS eingesetzter Medikamente aus der Gruppe der Amphetamine zu einer verstärkten Freisetzung von Dopamin aus den dopaminergen Nervenenden und zur Hemmung seiner Wiederaufnahme führt.

Auf diese Weise - so die alte Theorie - käme es zur Auffüllung und Normalisierung eines im Gehirn dieser Kinder herrschenden Dopamindefizits und damit auch zur Korrektur durch diesen Dopaminmangel verursachten Verhaltensstörungen."

Noch ein letzter trauriger Hinweis: Die Verordnung von Methylphenidat ist in den letzten 10 Jahren um das 10-fache gestiegen ... 


Neurobiologische Ursachen
Einige Wissenschaftler sind der Meinung, dass ein Dopaminmangel im Gehirn für die Symptome verantwortlich ist. Sie vermuten einen genetischen Defekt - erwiesen ist er bisher nicht! Dopamin ist ein Neurotransmitter
Was ist Dopamin?
Dopamin ist ein Botenstoff, der im Gehirn produziert wird. Es ist eine Vorstufe der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin und wird auch als "Glückshormon" bezeichnet. Dopamin ist ein Neurotransmitter (Botenstoff), der dafür zuständig ist, Erregungen von einer Nervenzelle auf die nächste weiterzuleiten - diesen Zwischenraum zwischen zwei Nervenzellen nennt man Synapse. Wenn von dem "synaptischen Spalt" die Rede ist, meint man also den Ort zwischen zwei Nervenendigungen. In diesen synaptischen Spalt wird nun das Dopamin aus der ersten Nervenendigung (= Praesynapse) ausgeschüttet. Die Andockstelle an der zweiten Nervenzelle nennt man Rezeptor, also Empfänger. Gelangt das Dopamin an diesen Rezeptor, wird die zweite Nervenzelle erregt und hiermit der Erregungsimpuls weitergeleitet. Dopamin dient also dazu, die Weiterleitung elektrischer Impulse zu beeinflussen.

Ausserdem gibt es an der Praesynapse noch - wie Hüther es gerne nennt - einen Staubsauger, der das Dopamin aus dem synaptischen Spalt zur Wiederverwertung wieder zurücksaugt und in kleinen Bläschen lagert - bis zur nächsten Erregung. Diese Staubsauger an den Enden der Axone werdenTransporter genannt.
Bei hyperaktiven Kindern wird eine überdurchschnittlich hohe Transporterdichte im Frontalhirn beobachtet. Die Schlussfolgerung hieraus ist, dass das Dopamin zu schnell wieder gebunden, also zu kurz im synaptischen Spalt wirksam ist, und damit die Dopaminkonzentration im Gehirn unter den normalen Pegel gesenkt wird. Es würden also weniger Aktionspotentiale an der nachgeschalteten Zelle ausgelöst und dadurch eine Unteraktivität ganzer Hirnareale verursacht.
Genau diese unterversorgten Areale sind zuständig für die sogenannten "exekutiven Funktionen", sie steuern also den Antrieb und die Hemmung von Verhalten. Sowohl mangelnder Antrieb als auch mangelnde Hemmung führen zu nicht zielgerichtetem unkonzentrierten Verhalten. Sowohl die Medikamente als auch Genussmittel wirken bei einer Fehlregulation dieses Systems scheinbar paradox: Die Dopaminkonzentration an den Synapsen normalisiert sich und die folgenden Hirnareale werden auf ein normal funtionierendes Niveau gebracht.

Methylphenidat / Ritalin ist ein WiederaufnahmehemmerMethylphenidat / Ritalin ist ein Wiederaufnahmehemmer, der den Dopamintransporter blockiert - viel langsamer, aber von der Zusammensetzung her wie Kokain, so dass das Dopamin länger im Spalt verbleibt und damit die Impulsübertragung optimiert wird.

Wenn das Dopamin als Transmitter von der einen zur nächsten Nervenzelle fehlt, dann ist die Reizverarbeitung gestört. Die Kinder weisen deshalb die typischen Störungen des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms auf.

Laut Professor Hüther wurde wie oben bereits erwähnt diese Dopaminmangel-Hypothese aufgestellt, als man merkte, dass die Symptomatik sich durch die Gabe von Medikamenten, welche die Ausschüttung von Dopamin stimulieren, deutlich verbessert. Dass es sich dabei zwangsläufig um die Ursache der Verhaltensstörung handelt ist bisher noch nicht bewiesen, sondern gilt weiterhin lediglich als wissenschaftliche Hypothese und ist wie die Annahme eines zugrunde liegenden genetischen Defektes nicht anders zu bewerten.

Andere Wissenschaftler sind genau gegenteiliger Meinung. Sie vermuten, die Kinder litten unter einem Dopaminüberschuss. Die erhöhte Anzahl der Transporter, also "Staubsauger", die das Dopamin wieder in die Vesikel zurück transportieren, könne durch einen Dopamin-Überschuss entstanden sein - sozusagen als Regulationsversuch. Dennoch sind es nicht genügend, um den Dopaminmangel im synaptischen Spalt auszugleichen. Hierbei würde Methylphenidat (Ritalin) die Dopaminvorräte in den Neuronen auflösen, so dass für einige Stunden weniger Dopamin ausgeschüttet werden kann und die Symptome der Hyperaktivität reduziert wären. Es gibt Studien, die vermuten lassen, dass der medikamentöse Abbau von Dopamin die dopaminproduzierenden Zellen erschöpft und dies zur Parkinson-Krankheit führen könne - die Neuronen haben die Fähigkeit verloren, Dopamin zu produzieren. Bei Kindern, die lediglich Verhaltensstörungen aufweisen, bei denen jedoch keine Verdichtung im dopaminergen System vorliegt, würde also in Folge die normale Entwicklung der Axone gebremst - Grundlage für Morbus Parkinson oder "Das späte Zittern des Zappelphillips".

Gerald Hüther stellt die Hypothese auf, dass eine verstärkte Dichte von Transportern, die das Dopamin wieder in die Vesikel zurückleiten, so dass im synaptischen Spalt letztendlich weniger davon vorhanden und damit die Reizübermittlung gestört ist, ebenso gut Ausdruck eines stärker entwickelten dopaminergen Systems sein könnte, da bis zur Pubertät die Dichte der Nervenfortsätze steigt. Sie sind durch äußere Reize leicht zu beeinflussen (Studien von Gertraue Teuchert-Noodt Uni Bielefeld)

Manche Kinder sind bereits als Baby wacher und empfindlicher als andere und daher leichter zu stimulieren als andere. Dadurch wird ihr dopaminerges System viel häufiger aktiviert und es bilden sich verstärkt Axone. Sie werden wacher und unruhiger, manchmal dann auch verhaltensauffällig. Diese Kinder hätten dann einen Dopaminüberschuss, kein Defizit (Analytische Kinder- und Jugendlichen-Psychotherapie, Bd.112, S.471, 2001) .

Beide wissenschaftlichen Hypothesen konnten bis heute weder bewiesen noch widerlegt werden. Sämtliche Diagnosen und daraus resultierenden Therapien mit Psychostimulanzien wie Methylphenidat beruhen demnach auf bisher unbewiesenen wissenschaftlichen Hypothesen!

Eine mögliche logische Schlussfolgerung daraus wäre, dass Methylphenidat die bereits erhöhte Dopaminfreisetzung noch weiter anregt und damit die Dopaminspeicher (Bläschen) komplett entleert. Bis diese dann wieder aufgefüllt sind, ist das Antriebssystem der Kinder erschöpft.

Darüber hinaus zeigen Tierversuche von Hüthers Arbeitsgruppe, dass Methylphenidat das Axon-Wachstum hemmt. Für These 1 - also eine zu starke Ausprägung des dopaminergen Systems würde dieses durch das Medikament zurückgestutzt. Also ein günstiger Effekt. (Journal of Child and Adolescent Psychopharmacology, Bd.11, S.15, 2001)

Auch Wissenschaftler um Joan Baizer von der University at Buffalo auf der Jahrestagung der Society for Neuroscience in San Diego betonten, dass das Medikament langfristige Veränderungen im Gehirn hervorrufen kann. Baizer betonte, dass Ärzte bislang dachten, dass Ritalin nur kurze Zeit wirkt. Auf Grund von Genuntersuchung an Ratten wurde jedoch belegt, dass Methylphenidat langanhaltende Veränderungen in der Struktur und der Funktion des Gehirns verursacht. Er ermahnte zu einem vorsichtigeren Umgang mit Ritalin.

Nur in Ausnahmefällen wird das Frontalhirn auf die Dichte seines dopaminergen Systems mit bildgebenden Verfahren überprüft. Dennoch steigt die Verordnung von Methylphenidat an.

Bei hochgradig auffälligen Kindern könne Methylphenidat notwendig und sinnvoll sein, dennoch sei eine begleitende psychotherapeutische und pädagogische Betreuung sinnvoll.

Oft entsteht auffälliges Verhalten aber aus ganz anderen Gründen: Schulprobleme oder familiäre Schwierigkeiten lösen diese oft aus und eine Therapie sollte zum Ziel haben, das Umfeld der Kinder mit einzubeziehen. Hierbei könne das Medikament notwendig sein, um die Kinder einer Psychotherapie überhaupt zugänglich zu machen. Der Stuttgarter Kinder- und Jugendpsychiater Reinmar du Bois betont, dass das familiäre Umfeld ein entscheidender Faktor sei. Die Prognose bei verhaltensauffälligen Kindern aus intakten Elternhäusern sei wesentlich besser als die bei Kindern aus schwierigen Verhältnissen - sowohl mit als auch ohne die Unterstützung von Methylphenidat.

In Schweden z.B. muss der Arzt in jedem Einzelfall den Einsatz der Arznei schriftlich beantragen und einen Therapieplan vorlegen, in dem Behandlungsverlauf und Nebenwirkungen genau zu dokumentieren sind ... Man denke darüber nach ...

Einige häufige Nebenwirkungen sind laut Beipackzettel: Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit, Magenbeschwerden, Traurigkeit, Ängstlichkeit, Kopfschmerzen, Schwindel, Gewichtsverlust, Durchfall, Verstopfung, nervöse Tics, Hautausschläge, Haarausfall, Gelenkschmerzen, Sinnestäuschungen bis hin zu psychotischen Reaktionen, Herzjagen und Herzrhythmusstörungen. Menschen die Ritalin nehmen, sind in ihrer Verkehrstauglichkeit beeinträchtigt und sollten kein Auto steuern. 
Die Langzeitfolgen sind nicht absehbar
Kritische Stimmen mehren sich sowohl in Deutschland als auch in den USA.

Als erster deutscher Wissenschaftler sprach Prof. Gerald Hüther Warnungen bezüglich der zunehmenden Verordnung von Methylphenidat aufgrund psychischer Verhaltensauffälligkeiten aus, da das Gehirn ein neuroplastisches, also sehr komplexes, anpassungsfähiges und leicht verformbares Organ sei. Es strukturiert sich in wichtigen Bereichen durch den Gebrauch, der von ihm gemacht wird. Seine Entwicklung wird beeinflusst durch die Lebensbedingungen des Kindes, das heisst, die Beziehungen, in den es lebt, seine Möglichkeiten, sich zu bewegen, aktiv zu werden und zu spielen und soziale Kontakte zu knüpfen.

Nicht eine einzelne organische Ursache, ob nun Dopaminmangel oder -überfluss könne für das Verhalten des Kindes verantwortlich gemacht werden, sondern familiäre und soziale Umstände sowie unkontrollierter Medienkonsum sind zu berücksichtigen. Tierversuche zeigen, dass das Hirnwachstum eines jungen Organismus durch Ritalin dauerhaft beeinflusst wird. Es liegen noch keine Langzeit-Beobachtungen vor. Niemand kann sagen, welche Folgen die Einnahme von Methylphenidat langfristig noch haben wird. Professor Hüther möchte als eine der Langzeitfolgen den bereits erwähnten Parkinson nicht ausschliessen. 

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